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"Verantwortung hört nicht am Spielfeldrand auf" - Moritz Müller und Timo Hübers im Interview

MITTWOCH, 26. FEBRUAR 2025
Moritz Müller (r.) und Timo Hübers im RheinEnergieSTADION (Foto: 1. FC Köln)

Mitte Februar führt das GeißbockEcho vom 1. FC Köln die Kapitäne der beiden größten Kölner Sportclubs zusammen: Timo Hübers vom „1. FC Köln „Effzeh“ und Moritz Müller. Die beiden ­Kapitäne sprechen in den Räumlichkeiten des RheinEnergieSTADIONs über den ­Umgang mit Sieg und Niederlage, die ­gesellschaftliche Verantwortung des Sports und die Entwicklung von Führung. Wir haben das Interview für euch nochmal in einer etwas abgespeckteren Version.

Moritz, in der sehr sehenswerten Doku von Magenta Sport zu Deinem 1000. DEL-Spiel sprichst Du davon, dass Dich selbst ein schlechter Pass im Training immer noch ärgert. Wie ist Dein Umgang mit Negativ­erlebnissen im Sport?

Moritz Müller: Man lernt in gewissem Maße damit umzugehen. Heute scheint die Sonne und würde auch scheinen, hätten wir gegen die DEG verloren. Oft heilt die Zeit die Wunden, das nächste Training, das nächste Spiel. Ich habe da kein Patentrezept oder einen Trick. Einfach weitermachen und bis zum nächsten positiven Erlebnis arbeiten.

Ende Januar hast Du im Heimspiel gegen München in der letzten Sekunde des Spiels die Scheibe hinter dem Tor verloren, Ihr habt 0,4 Sekunden vor dem Ende das Gegentor zur Niederlage kassiert. Am Tag danach ist Dein ehemaliger Nationalmannschafts­kollege Tobias Eder an seinem Krebsleiden verstorben. Ein solches tragisches Ereignis relativiert die die Bedeutung des Sports, oder?

Müller: Ja, aber man vergisst das leider oft schnell. Es gibt Momente, in denen man merkt, was wirklich wichtig ist im Leben. Dann vergeht eine gewisse Zeit und es geraten doch wieder andere Dinge mehr in den ­Fokus. Tobis früher Tod ist eine ganz traurige Geschichte. Die Zeit von Tobias Tod bis zur Beerdigung war sehr schwierig. Tobi hinterlässt eine große Lücke.

Timo, wir sitzen hier wenige Tage nach der 0:3-Niederlage in Magdeburg. Wie lange beschäftigt Dich so ein Negativerlebnis noch?

Timo Hübers: Nach Abendspielen ist die Schlafqualität unabhängig vom Ausgang nicht gut, man ist aufgewühlt und verarbeitet die Eindrücke vom Spiel. Nach einer Niederlage dauert das Verarbeiten sicher länger als nach positiven Erlebnissen. Und nach ­einer Niederlage wie im Pokal in Leverkusen, wenn man nach einem aufreibenden Spiel so bitter ausscheidet, dauert es noch einen Tick länger. Aber wie Moritz es sagt: Es geht weiter und das nächste Spiel steht an. Mit dem Start der Trainingswoche geht das Wunden heilen dann auch am besten. ­Niederlagen gehören zum Spiel dazu, ­wichtig ist nur, wie man damit umgeht.

Im Sommer gab es die auf eine Saison bezogen größtmögliche Niederlage, den Abstieg. Wie schnell kann man das ablegen?

Hübers: Der Abstieg kam nach dem Saisonverlauf nicht mehr überraschend, es war eine Entwicklung über Monate. Dennoch ist es in dem Moment super frustrierend und enttäuschend. Es war gut, dass danach erst einmal Urlaub war, um das ein Stück weit ­abzuschütteln. Zum Start in die Saison, als noch nicht alles zusammenlief, gab es noch Flashbacks an die vergangene Saison. Aber mit positiven Erlebnissen bekommt man das aus den Köpfen.

Wann war für Dich klar, dass Du nicht davonläufst, sondern versuchst, es mit dem FC in der 2. Liga wiedergutzumachen?

Hübers: Eigentlich schon kurz nach Saisonende. Man muss den Abstieg verarbeiten und schauen, was man selbst in Zukunft möchte und nicht aus einer Emotion heraus entscheiden. Deshalb habe ich mir schon ein paar Tage Zeit genommen, habe Gespräche mit mir selbst, mit der Familie, meiner Freundin und Mitspielern geführt. Dann haben wir recht schnell zueinander gefunden.

Der Großteil der Mannschaft ist geblieben. Wie kann man sich diesen Ablauf vorstellen

Hübers: Wir haben uns nicht direkt zusammengesetzt, waren aber natürlich im Austausch. Am Ende sind es Entscheidungen, die jeder für sich treffen muss. Für den FC ist es eine Auszeichnung, dass so viele ­einzelne Entscheidungen für den FC aus­gefallen sind.

Moritz, kannst Du Dich hineinfühlen, wenn man so einen richtigen Nackenschlag kassiert und dann den Drang hat es wiedergutzumachen?

Müller: Total, ich kann mich aber auch in die Situation hineinversetzen, dass man ­absteigt und dann geht. Das würde ich auch verstehen. Wir haben 2014 zu Hause das Finale in Spiel sieben verloren. Das hat sich für mich wahrscheinlich ähnlich angefühlt. Ich habe wirklich sehr, sehr viel von mir gegeben in dieser Zeit. Ich bin den anschließend nicht immer einfachen Weg gegangen und es hat mich rückblickend zu dem ­gemacht, der ich heute bin, auch in der ­Verbindung mit dem Verein.

Du sprichst die Verantwortung an. Wie definiert Ihr für Euch diesen Begriff, sowohl im Sport aber auch im Leben?

Hübers: Verantwortung heißt für mich, erst einmal die bestmögliche eigene Leistung zu bringen, damit sich andere Spieler daran orientieren können. Dazu gehören die Körpersprache und eine positive Ansprache zu den Mitspielern – und so auch jedem einzelnen zu helfen, bestmöglich zu performen. Das ist mindestens genauso wichtig wie selbst zu performen. Gerade in diesen Zeiten hört Verantwortung aber nicht am Spielfeldrand auf. Da gilt es auch für Werte und Tugenden einzustehen, die das Zusammenleben ­einfacher machen.

Müller: Das unterschreibe ich so. Ein Punkt kommt für mich noch dazu: Man muss es auch einfach sein. Entweder man ist jemand, der vorangeht, oder nicht. Ich habe letztens ein Lied gehört, da war die Aussage: Es kommt der Moment, da muss sich einer stellen und einer muss hervortreten. Ich war schon ­immer jemand, der sich gestellt hat, wenn es sein musste. Das respektiert auch der Rest der Truppe, wenn sie wissen: Wenn es darauf ankommt, ist derjenige da und geht voran.

Moritz spricht davon, dass es die Mannschaft respektiert. Inwieweit ergibt sich Führung also aus einer Mannschaft selbst heraus?

Hübers: Wenn man es aus einer anderen Perspektive betrachtet: Wenn man irgendwo neu hinkommt und glaubt, gleich der große Zampano zu sein, der alles bestimmt, dann klappt das nicht. Das ergibt sich mit der Zeit. Ich bin nun insgesamt im fünften Jahr beim FC, kenne das ganze Drumherum. Ich habe in der Zeit mit die meisten Spiele gemacht, habe Europa-Spiele und den Abstieg mit­gemacht. Deshalb kann ich auf einen ganz guten Erfahrungsschatz zurückgreifen.

Timo sagt, Verantwortung endet nicht am Spielfeldrand. Sowohl die Haie als auch der FC sind zwei Clubs, die das leben, die sich sozial engagieren, die für Werte und Vielfalt stehen. Wie wichtig ist das für Euch, als Sportverein für Werte zu stehen und diese auch nach außen zu tragen?

Müller: Es muss authentisch sein. Es gibt viele Vereine, die viele Marketingkonzepte fahren. Es muss wirklich gelebt werden. Der Sport ist etwas, das vom Nachwuchs bis in den Profibereich verbindet und als Vorbildfunktion in der Gesellschaft dient. Das ist das größte Gut des Sports, das ist für mich gelebte Vielfalt.

Hübers: Sport hat einen riesigen Stellenwert in der Gesellschaft. Gerade in Köln hängt an jeder Straßenecke ein Geißbock oder ein Hai. Die Leute können sich größtenteils deshalb damit identifizieren, weil gewisse Werte vorgelebt werden. Wie Moritz sagt, fahren viele Vereine eine CSR-Strategie, die dazu dienen soll, das Image aufzupolieren. Das hat man insbesondere bei den beiden Kölner Vereinen überhaupt nicht, da merkt man, dass es von Herzen kommt und sie ­Positives schaffen wollen in der Gesellschaft.

Timo und Moritz, Ihr seid beide Kapitäne Eurer Teams. Wie lebt Ihr dieses Amt im Alltag?

Moritz Müller: Wenn man Kapitän ist, muss man authentisch sein. Es gibt verschiedene Arten zu führen. Die Mannschaft muss spüren, dass es aus dem Herzen kommt und dass man es aus den richtigen Gründen macht. Man ist immer Kapitän oder immer nicht Kapitän. Ich bin so wie ich bin, in jeder Situation meines Lebens. Eine Rolle zu spielen, das geht nicht gut.

Wie ist Dein Führungsstil?

Müller: Ich bin immer über die Liebe gekommen, die Liebe zum Sport, die Liebe zu den Mannschaftskollegen und zum Verein. Die Mannschaft weiß, wie sehr mir das am Herzen liegt und dass ich das Richtig will für sie. Das war immer ein Ansatz, wie ich Verantwortung übernehme. Der Standard an mich selbst ist sehr hoch und ich kann dementsprechend von den anderen erwarten, dass ihr Standard auch hoch ist.

Führst Du auch über diese Attribute, Timo?

Timo Hübers: Das Wichtigste ist, wie Moritz gesagt hat, authentisch zu sein. Du bist kein anderer Mensch, nur weil du eine Führungsrolle innehast. Das gibt dir nicht die Berechtigung, dich anders zu verhalten, denn dann würde es auch nicht funktionieren. Wenn man ein bisschen etwas miterlebt hat, versucht man seinen Mitspielern gute Ratschläge zu geben, zu schauen, wie die Körpersprache des einen oder anderen ist. Mal braucht es einen Tritt in den Hintern, mal eine Umarmung. Die Aufgaben sind vielschichtig. Am wichtigsten ist, dass man mit einem guten Beispiel vorangeht und Professionalität vorlebt. Nur so kannst du es dann von anderen auch einfordern.

Hat sich Führung im Laufe Eurer Karrieren verändert?

Müller: Doch, das war früher anders. Ich bin von Nordamerikanern sozialisiert worden, die aus einer eher raueren Umgebung gekommen sind. Das war ein anderer Ansatz als ich ihn jetzt verfolge. Wie junge Spieler in die Kabine kommen und aufgenommen werden, ist ganz anders als früher. Es ist ein anderer Umgang, was ich aber begrüße. Die Eishockey-Kabine an sich hat sich auf jeden Fall stark verändert.

Gab es bei Euch den Moment, in dem Ihr gezweifelt habt, ob es für die große Karriere reicht?

Müller: Klar. Als kleiner Junge war ich fest davon überzeugt, dass ich es in die NHL schaffe (lacht). Dann kam die Realität. Ich habe eine Zeit lang in Frankreich und Schottland gelebt, da war nicht viel mit Eishockey. Dann war ich in Kassel, das ist im Nachwuchs nicht das höchste Niveau und dort war ich kein besonderer Spieler. In den Anfangsjahren in Köln war ich für alle und auch für mich selbst eine Überraschung, dass ich es dorthin geschafft habe. Dann war ich sehr hart zu mir selbst und habe hart an mir gearbeitet, um besser zu werden.

Was hättest Du ohne die Profikarriere gemacht?

Müller: Das weiß ich nicht. Aber wenn du so bist, wie du bist, wirst du immer etwas finden, das dich erfüllt. Ich glaube nicht, dass ich im Eishockey so unfassbar talentiert war, dass ich deshalb Eishockey-Profi geworden bin. Es sind am Ende die menschlichen Qualitäten, die den Erfolg ausmachen. Mein Wunsch ist, dass ich ähnlich glücklich geworden wäre.

Hübers: Das ist ganz wichtig, dass man sich nicht darüber definiert, was man erreicht oder geschafft hat. Es gibt auch noch ein paar andere Anker, über die man sich definiert. Bei mir war es genauso: Ich war nicht das Übertalent, war noch recht zierlich mit 16, 17, 18 Jahren. Ich habe es irgendwann zum Profi geschafft, es kamen aber noch schwere Verletzungen dazu, wo ich mich gefragt habe, ob ich es nochmal auf das Niveau schaffe. In der Zeit habe ich nebenbei viel für mein Studium gemacht und dort meine Freundin kennengelernt. Deshalb ist das für mich auch sinnbildlich: Wenn eine Tür vermeintlich zugeht, öffnet sich eine andere. Und das heißt nicht, dass man ein weniger glücklicher Mensch sein muss. Wie es heute mit dem Fußball für mich ist, ist es schon ziemlich unschlagbar, aber das heißt nicht, dass das ganze Lebensglück dranhängt.

Gibt es etwas, das Ihr an der jeweils anderen Sportart schätzt?

Hübers: Im Eishockey geht es auf dem Eis noch heftiger zur Sache als bei uns. Es gibt noch mehr direkte Duelle. Trotzdem klatscht man sich nach dem Spiel ab und dann ist auch alles vergessen. Das finde ich im Fußball manchmal schwierig mit viel Theatralik und Show dabei. Da könnte man sich schon ein bisschen etwas abschauen vom Eishockey.

Müller: Wir haben als Spielervereinigung ein Handbuch an die Eishockeyspieler herausgegeben mit der Botschaft: Unsere Chance als Sportart in Deutschland ist es, über Tugenden zu kommen, die der Fußball derzeit vielleicht nicht immer so vorlebt. Respekt vor dem Schiedsrichter, sich nicht über Schwalben Vorteile erhaschen. Aber man muss auch verstehen, dass es eine ganz andere Bühne ist, nochmal größer, mehr Druck. Deswegen ist es schwer zu vergleichen. Wenn ich mir vom Fußball etwas wünschen dürfte, dann dass ich an der frischen Luft trainieren und spielen kann. Und weniger Ausrüstung anziehen vor dem Training wäre auch nicht schlecht (lacht).

Ist man ein Stück weit neidisch, wenn man sieht, dass hier alle zwei Wochen 50.000 Zuschauer ins Stadion pilgern, während das Eishockey um Aufmerksamkeit kämpfen muss?

Müller: Neid ist das falsche Wort. Wir haben eine riesige Bühne, unsere Halle ist auch immer voll. Die Gesellschaft hat sich im Positiven wie im Negativen verändert. Ich verstehe genau, wo der FC mental und emotional manchmal ist, weil ich das Umfeld vom KEC kenne. Das muss man annehmen. Aber ich beneide keinen um ganz viel Fame. Ich glaube nicht, dass es immer etwas Beneidenswertes ist.

Ist es aus Deiner Sicht beneidenswert, Timo?

Hübers: Ich weiß nicht, wie es ist, in einer Eishockeyhalle zu spielen. Ich weiß nur, dass jeder als Kind oder Jugendlicher seine Träume hat. Bei mir war es immer schon, vor ausverkauftem Haus in einem Bundesligastadion zu spielen. Das ist hier ein besonderes Privileg, weil es, was die Stimmung angeht, sicher eines der Top-Drei-Stadien in Deutschland ist. Man ist eines der kleinen Zahnräder, um für Emotionen zu sorgen. Manchmal in die negative Richtung, aber oft auch in die positive Richtung, das sollte Ansporn sein.

Wie ist Dein Blick auf andere Sportarten, die es in Deutschland nicht immer leicht haben, in den medialen Fokus zu rücken, Timo?

Hübers: Ich habe hier mein erstes Jahr in Köln im Alter von 18 Jahren im Sportinternat gewohnt – mit Eishockey-Spielern, Judokas, Leichtathleten, Hockey-Spielern. Das hat einen schon sehr geerdet. Die Schwimmer sind vor der Schule schon zwei Stunden schwimmen gegangen, haben nur Mittag gegessen und sind dann wieder in die Schwimmhalle. So war es bei anderen Sportarten auch, die teilweise deutlich mehr für deutlich weniger in jungen Jahren schon opfern. Das ist nicht immer fair. Aber in Deutschland ist Fußball nun mal der Volkssport Nummer eins, das wird sich auf absehbare Zeit auch nicht ändern. Andere Sportarten hätten auch mehr Aufmerksamkeit verdient.

Das deutsche Eishockey kommt aus schwierigen Zeiten. Heute sprechen wir über Olympia-Silber, eine Vizeweltmeisterschaft und mit Leon Draisaitl ist einer der besten Spieler der Welt Deutscher. Wie siehst Du die Entwicklung des deutschen Eishockeys, Moritz?

Müller: Die Entwicklung ist sehr positiv. Das hängt mit den internationalen Erfolgen zusammen, die für ein überregionales Interesse sorgen. Mein Schwiegervater (Thomas Eichin, Anm.d.Red.) war Fußballprofi und ich weiß, was er damals bei Borussia Mönchengladbach verdient hat. Das war ein Bruchteil dessen, was die Eishockey-Spieler verdient haben, das muss man sich heute erst einmal vorstellen. Die Eishockey-Spiele liefen aber auch samstags in der Sportschau. Das Eishockey hat dann eine Zeit lang nur noch in einer Bubble stattgefunden, war nur noch im Privatfernsehen zu sehen. Durch die internationalen Erfolge ist wieder ein überregionales Interesse entstanden. So funktioniert Sport-Deutschland, über eine starke Nationalmannschaft und große Events. Die Struktur muss im Nachhinein gut genug sein, das aufzufangen. Ich will dem Fußball nichts wegnehmen, aber ich wünsche mir einfach Platz für mehr Sport.